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Den Rabenvögeln oder Corviden wird gern alles erdenkliche Böse zugetraut, weshalb sie bei vielen Menschen in der Sympathieskala weit unten rangieren: Elster, Eichelhäher, Dohle, Saatkrähe sowie die Aaskrähe mit den Unterarten Raben- und Nebelkrähe sollen andere Singvögel umbringen und stören durch ihr mißtöniges Tschackern, Rätschen und Krächzen. In ländlichen Gebieten geht es dann oft so weit, daß sie als »Raubzeug« bejagt werden, weil sie angeblich das Niederwild dezimieren, für Ernteschäden in der Landwirtschaft verantwortlich sind und sogar neugeborene Lämmer angreifen. Es scheint also viel dafür zu sprechen, ihnen mit allen Mitteln den Garaus zu machen.
Diese starke Abneigung gegen Rabenvögel geht wohl zum guten Teil auf alte Symbolik zurück: Kolkraben, Krähen und Elstern gelten als Verkünder von Unheil und Tod. Sie sind Unglücks- und Galgenvögel. In vorchristlicher Zeit war ihr Ruf jedoch zumeist besser. Raben waren Begleiter der griechischen Götter Apoll und Bakchos wie des germanischen Obergottes Wotan. Im 1. Buch der Könige wird der Prophet Elia von Raben fürsorglich mit Brot und Fleisch versorgt, nachdem der Herr ihn in die Wildnis am Bach Krith geschickt hatte. Die römischen Auguren lasen aus dem Flug von Raben und Krähen Hinweise auf die Zukunft heraus. Elstern waren allerdings bereits in der nordischen Mythologie Vögel der Todes- und Unterweltgöttin Hel. Die Christianisierung hat mit den positiven heidnischen Symboliken gründlich aufgeräumt, so daß ein vorwiegend negatives Image übrig blieb und Alfred Hitchcock ein wunderbares Motiv für seinen beklemmenden Film Die Vögel hatte. Auch wenn die Laute der Rabenvögel nicht dafür zu sprechen scheinen, zählt man sie zu den Singvögeln. In dieser Gruppe sind sie ausgesprochene Riesen. Mit fast 1,5 Kilo bringt der Kolkrabe am meisten auf die Waage, das ist gut achtmal so viel wie das Gewicht einer Amsel. Auch mit ihrem vergleichsweise hochentwickelten Gehirn sind die Rabenvögel den anderen Singvögeln weit voraus. Es erlaubt ihnen, sich rasch und geschickt an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Ihr Verhalten wird also nicht in dem Maße durch Instinkte geleitet und festgelegt wie das anderer Vogelarten. Bei ihnen ist mehr Intelligenz im Spiel. Eine hübsche Verknüpfung von Gedächtnisinhalten leisten etwa Eichelhäher, wenn sie einen Waldkauz erblicken, sich auf den Bildeindruck hin an dessen Ruf erinnern und dann den Feind zunächst damit anhassen, bevor sie ihn mit ihrem typischen Rätschen beschimpfen. Gekonntes Imitieren der Rufe und Gesänge anderer Vogelarten ist zwar beispielsweise auch vom Star und von Rohrsängern bekannt, scheint aber dort keiner zwischenartlichen Kommunikation zu dienen. Elstern und Krähen sind besonders auffällige Vertreter der städtischen Vogelwelt. Sie sind relativ häufig und fallen wegen ihrer Größe ins Auge. In Städten östlich der Elbe sind Nebelkrähen, westlich davon Rabenkrähen anzutreffen. Saatkrähen sind in den Städten bei weitem nicht so häufig und sollen deshalb im folgenden außer Betracht bleiben. Sind im Winter die Bäume kahl, kann man die großen kugeligen Nester der Elstern und die struppig wirkenden der Krähen nicht übersehen. Noch vor fünfzig Jahren lebten Elstern und Krähen überwiegend in der freien Feldflur mit Gebüschen und Bäumen, ihrem angestammten Lebensraum. Dort fanden sie genügend Nahrung und Nistgelegenheiten. Das änderte sich aber, als die fortschreitende Intensivierung der Landwirtschaft zu einer »Ausräumung« der Landschaft führte. Da sich moderne Landmaschinen nur auf großen Anbauflächen rentabel einsetzen lassen, mußten Hecken und Bäume verschwinden. Elstern, Krähen und in geringerem Ausmaß auch die Eichelhäher suchten sich also mehr und mehr in den Städten einen neuen Lebensraum. Gärten, Parks, grüne Innenhöfe und Straßenbegleitgrün bieten mannigfache Nistmöglichkeiten, und das Nahrungsangebot ist vielseitig und reichlich. Die vielfach baumlosen Innenstadtbereiche dagegen laden nicht zum Nisten ein. Allerdings scheint sich hier ein weiterer Schritt der Verstädterung anzubahnen: 1996 nistete ein Elsternpaar in der Takelage einer kleinen nachgebildeten Hansekogge, mit der der Giebel eines Geschäftshauses in der Hamburger Mönckebergstraße verziert ist. Die Elstern gehen in ihrer Annäherung an den Menschen am weitesten, indem sie zum Teil ihre Nester in unmittelbarer Hausnähe bauen. Krähen und ausgeprägter noch die Eichelhäher scheuen eher die direkte Nachbarschaft. In einem speziell untersuchten Gebiet in Hamburg nisteten 1970 vier und im Jahr 1992 nicht weniger als 102 Elsternpaare. Im westfälischen Hagen mit seinen 160 Quadratkilometern stieg die Zahl der Brutpaare zwischen 1986 und 1996 von 227 auf 415 an. Von Stadt zu Stadt variiert die Elsterndichte zum Teil ganz erheblich. Während 1988 in Oberhausen 3,7 Brutpaare pro Quadratkilometer ermittelt wurden, waren es 1990 in Manchester 40 bis 49. In der ausgeräumten Feldflur dagegen ist die Siedlungsdichte weit geringer als in Städten. Sie wurde mit 0,05 bis 0,7 Brutpaaren pro Quadratkilometer ermittelt. Sind die Rabenvögel nun in der Stadt schon zur Plage geworden, und wie steht es mit den von ihnen angerichteten Schäden? Sicher mag es Menschen geben, die es Elstern und Krähen übelnehmen, daß sie gelegentlich in Parks die Abfallkörbe nach Resten von Pommes frites und anderem Eßbaren durchstöbern, ohne sich um den verstreuten Inhalt zu scheren. Doch diese Verschandelung ist ja behebbar, oder man kann ihr durch entsprechend gestaltete Behältnisse vorbeugen. Gravierender ist der Vorwurf, daß Elstern und Krähen die Eier und Jungen unserer Rotkehlchen, Buchfinken und anderer Sänger fressen und damit deren Bestand gefährden. Nach zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen sieht es allerdings so aus, als handele es sich bei diesem Vorwurf mehr um ein irrationales Vorurteil denn um etwas real Begründbares. So hat eine neuere Langzeituntersuchung in Osnabrück ergeben, daß trotz deutlicher Zunahme des Elsternbestandes auch die Zahl kleinerer Singvögel, wie Amsel, Gimpel, Kleiber und Zaunkönig, merklich anstieg. In Ulm stellte man in einem Gebiet mit relativ hoher Dichte an Elstern und Rabenkrähen fest, daß Buchfinken mit 41,7 Prozent einen ausgesprochen guten Bruterfolg erzielten. Allgemein ist festzustellen, daß Brutmißerfolge keineswegs allein den Rabenvögeln anzulasten sind, denn unter anderem rauben ja auch Eichhörnchen, Katzen, Wiesel und Steinmarder Nester aus. Überdies rangieren Eier- und Jungenraub in der Liste der Ursachen für Brutmißerfolg nicht automatisch an der Spitze. Davor noch spielen in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit der Mensch mit seinen Eingriffen in die Natur, der Tod eines Paarpartners und ungünstige Witterung eine Rolle.
Rabenvögel sind von Haus aus keine »Räuber«. Die Evolution hat sie auch gar nicht entsprechend ausgerüstet. Die Greifvögel haben krallenbewehrte Greiffüße und Hakenschnäbel, um lebende Beute schlagen zu können. Der längliche und eher spitze Schnabel der Corviden dagegen ist mehr dazu geeignet, kleinteilige Nahrung vom Boden aufzunehmen. Dazu müssen sie sich zu Fuß bewegen, wobei Krallen nur hinderlich wären. Hinsichtlich ihrer Ernährung sind sie Generalisten, also Allesfresser. Elster, Krähe und Eichelhäher leben in erster Linie von Insekten, Würmern, Schnecken und pflanzlicher Kost, Elster und Krähe in der Stadt auch von Abfällen. Wenn sie ihren Speisezettel gelegentlich mit kleinen Wirbeltieren aufbessern, handelt es sich vielfach um bereits tote Tiere, mit deren Tod sie nichts zu tun hatten. Eine gezielte Suche nach Vogelnestern wäre für Rabenvögel sehr aufwendig, weil wegen ihrer seitlich am Kopf sitzenden Augen das räumliche Sehen eingeschränkt und damit das Erspähen von Beute erschwert ist. Es wäre für sie höchst unökonomisch, sich darauf zu konzentrieren, vorwiegend Eier und Jungvögel zu erbeuten. Deshalb machen diese nur einen sehr kleinen Teil im Nahrungsspektrum aus. Außerdem sind sie ja auch nur im Frühjahr im Angebot. Zweifellos ist die Populationsdichte der Stadt-Corviden in den letzten Jahrzehnten angewachsen ein Prozeß, der durch Eingriffe des Menschen in ihren ursprünglichen Lebensraum in Gang gesetzt wurde. Die Zahl der Rabenvögel kann aber nicht in den Himmel wachsen, da die Bestandsentwicklung durch verschiedene Faktoren reguliert wird. Die Dichte hängt schon einmal ganz wesentlich vom Nahrungsangebot ab. Auch die Nistmöglichkeiten setzen eine Grenze: Selbst wenn reichlich Bäume vorhanden sind, werden keineswegs alle besetzt, weil die Vögel als Einzelbrüter bestimmte Mindest-Reviergrößen brauchen. Revierkonkurrenz besteht dabei nicht nur innerhalb der Arten, sondern auch zwischen Krähen und Elstern. So neigen Elstern dazu, ihr Gelege aufzugeben, wenn sich in der Nähe Krähen ansiedeln. In geringerem Maße halten sich Rabenvögel auch dadurch gegenseitig in Schach, daß sie Nester ihrer Verwandten berauben. Insbesondere für die stärkeren Krähen sind zufällig entdeckte Eier und Jungvögel der Elstern ein gefundenes Fressen. Speziell bei den Krähen kommt hinzu, daß in einer anwachsenden Population partner- und revierlose Individuen an Zahl zunehmen und den Etablierten das Leben schwer machen. Die Habenichtse schrecken nicht davor zurück, die Revierbesitzer ihres Nachwuchses zu berauben, und tragen im übrigen als Singles nicht zur Bestandsvermehrung bei. Von ungezügelter Vermehrung der Corviden kann also bei nüchterner und unvoreingenommener Betrachtung nicht die Rede sein. Ebenso wenig davon, daß sie die Bestände anderer Singvögel nennenswert bedrohen. In Deutschland ist diese Einsicht in das von der EG-Vogelschutzrichtlinie veranlaßte Bundesnaturschutzgesetz und die Bundesartenschutzverordnung eingeflossen, die beide auch die Corviden unter Schutz stellen. Das wurde in den bezüglichen Ländergesetzen allerdings noch nicht einheitlich umgesetzt oder verschiedentlich gar de facto wieder aufgehoben. Wenn der Mensch dennoch meint, durch Bejagen, Vergiften oder Vergrämen regulierend eingreifen zu müssen, ist die Dezimierung nicht von Dauer. Schon sehr bald rücken nämlich Neuzuzügler nach. Jeder, der sich über ein zutrauliches Rotkehlchen, einen fröhlich trommelnden Buntspecht oder eine melodisch flötende Amsel freut, die Rabenvögel aber als Singvogelmörder verteufelt, sollte bedenken, daß auch Rotkehlchen, Buntspecht und Amsel keine Unschuldslämmer sind. Verfüttert das Rotkehlchen einen zarten Schmetterling an seine Brut, zerrt die Amsel einen Regenwurm aus dem Boden und vergreift sich der Buntspecht gelegentlich an einem Singvogelgelege, kräht kein Hahn danach. Auch ist daran zu denken, daß selbstverständlich auch die Corviden ihren Platz im Naturgeschehen haben. Als gelegentliche Aasfresser erfüllen sie etwa die Funktion einer »Gesundheitspolizei«, und ihre verlassenen Nester bieten zum Beispiel Turmfalken, Ringeltauben und sogar Spatzen Behausung für die Brut. Hoffentlich findet ein Denken, das die Natur nicht automatisch und arrogant in Gut und Böse, Schädlich und Nützlich einteilt, immer mehr Anhänger. Rechte beim Tecklenborg Verlag, Steinfurt Thomas Schmidt Bilder auf dieser Seite: |