Bezaubernde Schönheiten: UmschlagThomas Schmidt

Bezaubernde Schönheiten
Die erstaunliche Welt exotischer Schmetterlinge




Verliebt in Morphos und Monarchen

Schmetterlinge ... sie verkörpern die Schönheit der Natur auf ideale Weise. Schon in meiner Kindheit fühlte ich mich zu den eher sanften und leisen Erscheinungen der Pflanzen- und Tierwelt hingezogen. Was ich damals mit erstaunten Augen ansah, betrachte ich heute durch den Sucher meiner Kamera. Mein Erstaunen ist nicht geringer geworden. Dabei schmerzt es mich, daß nur noch wenige Falter über die Wiesen gaukeln.

1985 ergab sich die Möglichkeit, mit Schmetterlingen beruflich »zusammenzuarbeiten«. Ich wurde »Schmetterlingsbetreuer« im Bismarckschen Garten der Schmetterlinge in Friedrichsruh bei Hamburg, seinerzeit der erste seiner Art in Deutschland. Ich gewann vielfältige und interessante Einblicke in die erstaunliche Biologie exotischer Falter, wie sie dort zur Freude der Besucher herumflogen: Indisches Blatt, Zebrafalter, Morpho, Monarch ... Ich wurde schließlich so neugierig, daß ich die wunderschönen Insekten auch einmal in ihrem natürlichen Lebensraum besuchen wollte.

1993 reiste ich zum ersten Mal nach Ecuador, um tropische Schmetterlinge mit der Kamera einzufangen. Einer fremdartigen Welt begegnete ich dort im Regenwald: das verwirrende Spiel von Licht und Schatten in der dichten Vegetation, der Duft unzähliger Pflanzen in der feuchtheißen Luft, die Vielfalt unbekannter Naturgeräusche und - immer wieder Schmetterlinge. Mein erster Erkundungsgang durchs Unterholz: Plötzlich huscht es leuchtend blau durch das Halbdunkel und verschwindet wieder. Ich mache mich auf die Suche und finde einen handgroßen Schmetterling, der sich auf einem Baumstamm ausruht: ein Morphofalter. Wenn er seine Flügel zusammenklappt, ist das metallisch blaue Leuchten ausgelöscht. Die Schutzfärbung der Flügelunterseiten macht ihn unsichtbar.

Auf meiner täglichen »Jagd« nach bunten Schmetterlingen in den Bergregenwäldern der Umgebung von Baños, einer kleinen Stadt im zentralen Andenhochland Ecuadors, begegnete ich immer wieder mir neuen Arten. Manche Falter versteckten sich im Schatten oder waren gut getarnt, andere wiederum flogen weit oben in den Baumkronen. So waren nicht alle auf einmal zu sehen, wie ich es aus dem Schmetterlingszoo gewohnt war, aber mit einiger Geduld gelang es meinen untrainierten mitteleuropäischen Augen doch, mehr und mehr Schmetterlinge ausfindig zu machen. Sie hockten auf Blättern und sonnten sich oder besuchten Blüten, um Nektar zu saugen. Viele Schmetterlinge saßen an feuchten Stellen entlang der Wasserläufe oder auf nassen Felsen und tranken das mineralstoffhaltige Wasser. Man mußte immer genau auf den Weg achten, um nicht aus Versehen auf die kleinen Gesellen zu treten. Manchmal setzte sich sogar ein ganz Mutiger auf meinen Arm, um vom Schweiß zu kosten.

Die tropischen Regenwälder bedecken nur 6 Prozent der Gesamtfläche aller Kontinente. Trotzdem lebt hier vermutlich über die Hälfte der auf der Erde existierenden Tier- und Pflanzenarten. Von den 25000 bekannten Tagfalterarten fliegen allein 20000 im Gürtel der tropischen Regenwälder von Südamerika über Afrika bis Südostasien. Hier findet man auch die größten Schmetterlinge der Welt. Die Fülle unterschiedlicher Pflanzenarten in diesen vielfältigen Lebensräumen bietet reichlich Nahrung für hungrige Raupen und durstige Schmetterlinge. Das feuchtheiße Klima bekommt den farbenfrohen Insekten besonders gut. Schmetterlinge sind wechselwarme Tiere, ihre Körpertemperatur hängt also von der Umgebungstemperatur ab. Diese bleibt in den Tropen relativ konstant, da es - abgesehen von Regen- und Trockenzeiten - keine ausgeprägten Jahreszeiten gibt. Deshalb lassen sich das ganze Jahr über Schmetterlinge beobachten.

Die Biologie der meisten exotischen Schmetterlingsarten ist noch völlig unbekannt. Dringt man aber einmal tiefer in das Leben einer Art ein, kann die Erforschung Erkenntnisse bringen, die für uns Menschen von außerordentlicher Bedeutung sind. So wurden die Ursachen der Rhesusfaktor-Unverträglichkeit, die bei Neugeborenen zum Tod führen kann, durch Untersuchungen an einem afrikanischen Ritterfalter (Papilio dardanus) aufgeklärt.

Jedes Jahr werden zwanzig bis dreißig tropische Schmetterlingsarten neu entdeckt, und die Forschung versucht, das Geheimnis ihrer Lebensweise zu enträtseln. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, denn die Lebensräume dieser hinreißend schönen Insekten werden in atemberaubendem Tempo von der »Krone der Schöpfung« vernichtet: Weltweit stirbt in jeder Minute Regenwald im Ausmaß von sechzehn Fußballfeldern. 1975 fand ein Entomologe bei Jaru im Westen Brasiliens innerhalb von nur zwölf Stunden 429 Schmetterlingsarten. Mittlerweile hat man dort den Regenwald abgeholzt und in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt. Die Schmetterlinge hatten keine Chance.

Als ich 1996 zum zweiten Mal Ecuador besuchte, sah ich im südöstlichen Andenvorland bei Talag wieder einen der prächtigen Morphofalter. Das leuchtende Blau seiner Flügel war schon von weitem zu erkennen. Der große Schmetterling tanzte in einigen Metern Höhe über einem morastigen Waldpfad in wellenförmiger Flugbahn langsam auf mich zu. Es war ein verzaubernder Anblick, und ich fühlte mich in diesem Moment eins mit der Natur. Plötzlich riß mich das Kreischen einer Motorsäge aus meinen »Träumen« und warf mich unbarmherzig in die »Wirklichkeit« zurück.

(Copyright: Tecklenborg Verlag, Steinfurt)