Thomas Schmidt
Hamburgs Vogelwelt entdecken
10 Spaziergänge zu den Lebensräumen



Hamburgs Vogelwelt entdecken


Freie und Vogelstadt Hamburg

Hamburg ist besonders grün, was sich bereits an der Gesamtfläche seiner insgesamt 27 Naturschutzgebiete zeigt: rund 6 Prozent des Stadtareals. Damit liegt Hamburg bundesweit an der Spitze. Das wissen auch Amsel, Drossel, Fink und Star. Rund 160 Vogelarten brüten in der Elbmetropole. Darunter Allerweltsarten wie Kohlmeise und Haussperling, aber auch Seltenheiten wie Pirol und Neuntöter. Wesentlicher Grund für die hohe Artenzahl ist die Vielfalt der Biotope. Besonders bunt ist das Vogelleben natürlich in den Naturschutzgebieten. So brüten im Duvenstedter Brook etwa 90 Vogelarten. Der scheue Kranich ebenso, wie die musikalische Nachtigall oder der schillernd blaue Eisvogel. Aber auch in Parks, Gärten und begrünten Wohnvierteln sind viele Vögel zu Hause. Im Stadtpark nisten fast 50 Arten, und in den innenstadtnahen Wallanlagen sind es noch etwas über 30. Selbst in der dicht und hoch bebauten City und in öden Gewerbegebieten lassen sich noch ornithologische Beobachtungen machen.

Unsere gefiederten Nachbarn wissen sich in der Stadt zu behaupten. Auf dem kiesbedeckten Flachdach im Elbe-Einkaufszentrum brütet ein Austernfischer, Hausrotschwänze nisten zwischen Containern im Hamburger Hafen. Besonders findig war ein Elsternpaar: Es baute sich vor einigen Jahren sein Nest in der Takelage einer kleinen nachgebildeten Hansekogge, die den Giebel eines Geschäftshauses in der Mönckebergstraße verziert. Sehr anpassungsfähig und deshalb auch weit fortgeschritten im Prozess der Verstädterung ist die Amsel. Sie bringt es in Hamburg auf rund 70.000 Brutreviere, fast doppelt so viele wie die an zweiter Stelle folgende Kohlmeise. Wenn es um Nistplätze geht, ist sie nicht wählerisch. Als ehemaliger Waldvogel brütet sie natürlich am liebsten in Bäumen oder kleinen Sträuchern. Sie weiß aber auch ihren Nachwuchs im dichten Efeu an einer Hauswand, im Blumenkasten auf dem Balkon einer Etagenwohnung oder in einem verrosteten Eimer aufzuziehen.

Die Vogelwelt in der Stadt bleibt sich nicht permanent gleich. Noch vor gut hundert Jahren war die heute so häufige Amsel in Hamburg kaum anzutreffen. Eine andere Entwicklung zeigt sich bei der Haubenlerche, etwa zur gleichen Zeit wie die Amsel in die Stadt eingewandert. In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der Bestand deutlich zu, weil der Steppenvogel auf den ausgedehnten Trümmerflächen passenden Ersatzlebensraum fand. Ende des 20. Jahrhunderts war die Zahl der Brutpaare auf nur fünf zurückgegangen. Über den Gimpel stellte Günter Timmermann in seinem 1953 erschienenen Büchlein „Die Vogelwelt des Hamburger Wandergebietes“ fest, dass er „im ganzen nicht häufig“ sei. Der im Jahr 2001 veröffentlichte „Brutvogel-Atlas Hamburg“ des Arbeitskreises an der Staatlichen Vogelschutzwarte Hamburg dagegen verzeichnet nicht weniger als 4100 Brutreviere und prognostiziert eine weitere Zunahme.

Der vorliegende ornithologische Wanderführer stellt zehn ausgewählte Biotope vor. Sie sind über ganz Hamburg verteilt und im allgemeinen gut zu erreichen. Die verschiedenen Wege erfordern alle keine sportlichen Höchstleistungen. Außer vier Naturschutzgebieten am Stadtrand und vier städtischen Parkanlagen sind auch der Elb- und der Alsterwanderweg dabei. Die an sich vogelkundlich sehr interessante Reit mit ihrer Beringungsstation blieb unberücksichtigt, denn spontane Spaziergänge würden die Beringungsarbeit stören. Es lag nahe, die Beobachtungen auf Frühling und Frühsommer einzugrenzen, weil die Vögel in der Brutperiode besonders sangesfreudig sind. Ausnahme ist der Winterspaziergang am Öjendorfer See, wo uns die winterliche Vogelwelt interessiert. Jeweils vier Vogelarten sind näher beschrieben, wobei neben häufiger vorkommenden auch seltenere berücksichtigt sind.

Gerade die Vögel ermöglichen uns Großstädtern einen der leider immer seltener werdenden Kontakte zur Natur. Sie lassen uns das hektische Getriebe leichter ertragen, denn sie sind fast überall zu beobachten und erinnern immer wieder daran, dass die Stadt nicht uns allein gehört. Die frechen Spatzen, die im Straßencafé Kuchenkrümel vom Teller stibitzen, sind ein Grund zum Schmunzeln. Watschelt eine Entenfamilie im Gänsemarsch über eine vielbefahrene Straße, treten wir bereitwillig auf die Bremse. Und wenn eine Amsel den Morgen begrüßt, mag sich der eine gestört fühlen, ein anderer sich aber gern von den kunstvollen Melodien wecken lassen. Die Vogelbeobachtung – besonders das Hören der Laute und Gesänge – bereitet vielen Menschen Freude. Man nennt die Vogelkunde deshalb auch eine »scientia amabilis«, also eine liebenswerte Wissenschaft.