Hamburger Abendblatt

Der städtischen Vogelwelt
unter die Fittiche greifen

Stadtplaner sind sich längst einig, dass Grün die Städte belebt: Parks und Gärten, Wiesen und Straßenränder. Für die Vogelwelt ist es wichtig, dass schützende Gebüsche und Bäume zum Nisten, Ruhen und Schlafen einladen. Wo viel Grün ist, findet sich viel zu fressen, von der Blattlaus am Rosenblatt und dem Regenwurm im Zierrasen bis zu Erlensamen, Bucheckern und Vogelbeeren.

Auch durch private Initiative lässt sich der städtischen Vogelwelt unter die Fittiche greifen. Ob Büro-, Miets- oder Einfamilienhaus, alle können Vögeln Unterkunft bieten: Auf Fassadenvorsprüngen und in Mauerritzen, in zugänglichen Dachstühlen oder Kletterpflanzen, durch angebrachte Vogelkästen und Niststeine. Dachbegrünung bietet den Vögeln zusätzlichen Lebensraum. Die Planung von Neubauten sollte Vogelschutzaspekte einbeziehen. Bei Sanierung älterer Gebäude sollte nicht jeder Vorsprung abgeschlagen, nicht jede Nische geschlossen werden.

Für Gartenbesitzer liegt es nah, Nistkästen unterschiedlicher Bautypen katzen- und mardersicher anzubringen. Man kann sie sich leicht selbst bauen und dabei, wenn nötig, auf fertige Bausätze zurückgreifen oder sich Anleitung in Büchern suchen. Die Kästen sollten einmal im Jahr gründlich gereinigt werden, am besten bald nach der Brutzeit. Auch Mieter können in Absprache mit ihrem Vermieter Nistkästen am Balkon oder an der Hauswand befestigen.

Gleichzeitig gilt es, Gefahren zu beseitigen: Fenster mit großen Scheiben sollten mit aufgeklebten Greifvogelsilhouetten sichtbar gemacht werden, so dass kein Vogel dagegenfliegt und sich den Hals bricht. Lüftungsöfmungen in der Hauswand müssen vergittert sein, denn sonst könnte sich ein Vogel auf der Nistplatzsuche hineinverirren und darin umkommen. Wo ein Regenfallrohr an eine Dachrinne ansetzt, ist ein Drahtgittereinsatz vorzusehen.

Eine grüne Umgebung allein garantiert nicht, dass Vögel dort genügend Insekten, Früchte und Samen finden. Aufgeräumte Gärten mit exotischen Ziergewächsen wie Rhododendron, Serbischer Fichte und Gingko mögen manchem gefallen, bieten aber Vögeln nur wenig. Dort gibt es für sie kaum etwas zu fressen. Denn diese Ziergehölze werden von Insekten eher gemieden und tragen häufig entweder gar keine Früchte oder solche, mit denen die hiesige Vogelwelt nichts anzufangen weiß.

Dagegen liefern Ebereschen Beeren, die 63 Vogelarten schmecken. Am Weißdorn wurden 163 Insektenarten beobachtet – ein Paradies für insektenfressende Vögel. Reichlich Nahrung bieten auch Schwarzer Holunder. Faulbaum, Sal-Weide, Schlehe, Haselnuss, Wildrosen, Liguster, Hartriegel, Pfaffenhütchen, Eibe, Brombeere, Wacholder, Traubenkirsche, Berberitze, Kreuzdorn.

Ein Teil des Vogelobsts verdorrt am Zweig und bietet den Tieren auch im Winter noch Nahrung. Herrscht jedoch Dauerfrost und ist alles verschneit, können Naturfreunde zufüttern: Körnermischung, Meisenringe oder Meisenknödel sind die richtige Kost, Essensreste, Speckschwarten und Brot dagegen nicht. Denn sie enthalten Salz, das den Vögeln nicht bekommt.

In der Stadt ist die Auswahl an Futterstellen sehr groß, denn Vogelfreunde gibt es reichlich. Stichprobenzählungen in Norddeutschland ergaben, dass auf 100 Meisenpaare 3319 Futterstellen kamen – 16 pro Meise. Von dieser Tierliebe profitieren also vor allem die Futterhersteller.

Aus Sicht des Artenschutzes ist es fraglich, ob diese Überlebenshilfe sinnvoll ist. Sie greift in den Prozess der natürlichen Auslese ein, indem sie schwächeren Vögeln über den Winter hilft, die sich fortpflanzen und die Widerstandsfähigkeit der Art vermindern. Auch kommt Winterfütterung gerade den häufigeren und wenig bedrohten Arten zugute. Wenn es gelänge, einen Teil der Futterausgaben an Naturschutzverbände umzuleiten, wäre manchem seltenen Vogel mehr geholfen.

Thomas Schmidt

Hamburger Abendblatt, 28. August 2001