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Höltigbaum Wenn früher die Lübecker auf der Kutschfahrt nach Hamburg an der Wegezoll-Station Höltigbaum Station machten, umgab sie ländliche Stille. Damit war es vorbei, als dort 1937 ein Truppenübungsplatz eingerichtet wurde. Bis 1945 pfiffen die Kugeln und gellten Kommandos. 1958 war es mit der Ruhe wieder aus. Nun röhrten dort die Panzer der Bundeswehr. Ein Nebeneffekt der militärischen Nutzung: Innerhalb der Einzäunung gab es genug unberührte Stellen als Rückzugsgebiete vieler Tier- und Pflanzenarten. Hier waren sie nicht nur ungestört, sondern blieben auch von Pestiziden und Düngemitteln verschont. 1992 gab die Bundeswehr das Gelände auf. Naturschützern ist es zu danken, dass Höltigbaum mit seiner offenen, von Knicks und Bachläufen durchzogenen Hügellandschaft 1998 zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. Es ist 152 Hektar groß und bildet mit dem Stellmoorer und dem Ahrensburger Tunneltal eine teils auf Hamburger, teils auf Schleswig-Holsteiner Gebiet liegende weiträumige Einheit von insgesamt rund 550 Hektar. Verkehrsanbindung
Am Höltigbaum hat man die Enge und Hetze der Millionenstadt längst hinter sich gelassen. Der Blick kann in die Weite der leicht hügeligen, von den Gletschern der letzten Eiszeiten geformten Landschaft schweifen. Feuchtwiesen wechseln mit Magerrasen ab, Bruchwäldchen in Senken mit Gebüschgruppen. Ab und zu ein einzeln stehender Baum. Für den aufmerksamen Naturfreund ist hier manches zu entdecken. 223 Pflanzenarten wurden gezählt, darunter das breitblättrige Knabenkraut, eine unserer einheimischen Orchideen, und das seltene Tausendgüldenkraut. Neben anderen Insekten und manchen Spinnen sind auch die Schmetterlinge reich vertreten, und zwar mit 21 Tag- und 189 Nachtfalterarten. Viele davon stehen in der Roten Liste. Die Vogelwelt findet einen reich gedeckten Tisch. Eine Zählung ergab 117 Arten, 65 davon brüten hier. Natürlich kommen Rotkehlchen, Ringeltaube, Kohl- und Blaumeise vor, aber auch Seltenheiten wie der Wachtelkönig, das Braunkehlchen und der Steinschmätzer. Im Rahmen des Erprobungs- und Entwicklungsvorhabens »Halboffene Weidelandschaft Höltigbaum« des Bundesamtes für Naturschutz und der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein sind 220 Hektar des Areals schottischen Hochland-Rindern und Heidschnucken vorbehalten. Diese genügsamen »Öko-Rasenmäher« weiden dort das ganze Jahr über. Sie sollen den immer wieder aufkommenden Bewuchs niedrig halten, damit die Landschaft nicht von Buschwerk oder Birkenwäldchen überwachsen wird. Von der stark befahrenen Straße Höltigbaum her passieren wir das Squash-Center am Eichberg. Noch sieht es nicht nach Naturschutzgebiet aus, denn es geht zuerst am Parkplatz vorbei, wo zu dieser Vormittagsstunde im Juni bereits einiger Betrieb herrscht. Auch auf dem Hundeauslaufgebiet linkerhand ist was los. Es wurde eingerichtet, um die bewegungsfreudigen Vierbeiner von Ausflügen ins Schutzgebiet abzuhalten. Wo der Asphalt endet, der Weg nach links führt und leicht ansteigt, stehen der Pflegehof und das für Besucher offene Büro des Beweidungs-Projektes. Jetzt bringen sich die Vögel in Erinnerung. In geschwindem Wellenflug fliegt eine Bachstelze über uns hinweg. Durch das Knirschen unserer Schritte auf dem sandigen Weg hören wir auch ihren Flugruf: »zilipp«. Und aus einem Weißdorn- und Heckenrosen-Gestrüpp in der Nähe lässt die Klappergrasmücke ihr eintöniges Klappern vernehmen. In einiger Entfernung vor uns sitzt auf einem Pfahl der Weidegebiet-Einzäunung ein Neuntöter. Durch das Glas sehen wir deutlich seine schwarze Banditenmaske. Er scheint einen größeren Käfer im Schnabel zu halten. Er lässt uns nicht sehr nahe herankommen, fliegt ab und verschwindet im Laub eines Weißdorns. Vermutlich spießt er nun seine Beute auf einen Dorn, um sie später zu verspeisen. Der Neuntöter ist bekannt für diese Art Vorratswirtschaft. Etwas größere Beute, wozu auch Eidechsen und Mäuse gehören können, klemmt er wohl auch in Zweiggabeln. Hat er seine Beute auf diese Weisen fixiert, kann er sie besser zerkleinern. Seinen Namen verdankt er der einstigen Annahme, er müsse erst neun Beutetiere beisammenhaben, bevor er sich darüber hermacht. Wenn der Neuntöter längst in den Süden gezogen ist, stellt sich vielleicht auch einmal sein größerer Vetter, der Raubwürger, am Höltigbaum als Wintergast ein. Über einer Wiese mit allerlei duftend blühenden Wildkräutern tanzen Schmetterlinge in der lauen Luft: Bläulinge, Dickkopffalter, Landkärtchen, Ochsenauge, Admiral, Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs ... In einem Traubenkirschenstrauch turnt ein Schwanzmeisenpaar, ein paar Schritte weiter huscht eine Zauneidechse in Deckung, die sich am Wegrand von der Sonne hat wärmen lassen. Quer über den Weg hastet ein dunkelbrauner Laufkäfer und verschwindet im Gras des Wegrains. Rechts im Weidegelände singt ein Gelbspötter sein auffälliges, anscheinend nicht enden wollendes Lied, mal melodiös und harmonisch, mal in dissonantisch »schrägen« Tönen. Der Gesang kommt von einer kleinen Baumgruppe her, und bei genauerem Hinsehen entdecken wir den Vogel, wie er im Gezweig einer Eiche singend umherhüpft. Manchmal leuchtet sein gelbes Brustgefieder hell auf, wenn ihn ein Sonnenstrahl trifft. Der Gelbspötter ist für seine gekonnten Imitationen der Stimmen anderer Vögel bekannt, und tatsächlich hören wir jetzt einen Blaumeisenruf und gleich darauf das »pickwerwick« der Wachtel heraus. Bei einer nicht zu identifizierenden Lautfolge haben wir den Verdacht, er könnte sie in seinem afrikanischen Winterquartier einem dort lebenden Vogel abgelauscht haben. Mit diesem Spotten, das ihm den Namen eingetragen hat, steht er in der Vogelwelt keineswegs alleine: Rohrsänger, Stare, Eichelhäher und Singdrossel, um nur einige zu nennen, sind auch groß darin. Wo uns der Weg über eine der alten betonierten Versorgungsstraßen hinwegführt, kommt unübersehbar der Telekom-Sendemast in den Blick. Zwei Rabenkrähen fliegen unausgesetzt Angriffe auf einen Mäusebussard, bis dieser wehrhafte Greifvogel entnervt das Weite sucht. Der Sieg über den Feind wird mit triumphierenden Gekrächze gefeiert. Wieder auf dem Sandweg, schauen wir links auf den von Erlen und Weiden dominierten Bruchwald, der den Wandse-Lauf begleitet und auch den Mönchs-Teich verbirgt. Rechts erstreckt sich eine Grasflur mit vereinzelten Buschgruppen. Dort hält sich ein Feldschwirl versteckt. Wir können nach dem Gehör ungefähr seinen Standort lokalisieren, sehen ihn aber nicht. Typisch für ihn, denn der unscheinbar grau gefiederte Vogel hält sich überwiegend am Boden auf, wo ihm Gras, Kräuter und Stauden Deckung bieten. Gelegentlich nur sucht er sich einen etwas kräftigeren Stängel als Singwarte und wäre dann auch einmal zu sehen. Unser Feldschwirl jedoch zieht es vor, vom Boden aus zu singen. So bleibt uns nur der Eindruck seines Gesangs: ein lang anhaltendes Schwirren, das leise einsetzt und allmählich lauter wird. Wer sich mit Vogelstimmen noch nicht so gut auskennt, könnte eine Grille oder eine Heuschrecke für den Urheber halten. Im unmittelbar benachbarten Stellmoorer Tunneltal brütet der Schlagschwirl, ein größerer Verwandter. Dessen Gesang ist lauter als der des Feldschwirls und nicht so gleichförmig, sondern durch kleine Intervalle rhythmisch gegliedert. Nach wenigen hundert Metern endet der Sandweg an einer weiteren befestigten Straße. Nun geht es nach rechts und an einem abgesperrten Gelände entlang, wo der Kampfmittelräumdienst Blindgänger lagert und bei Bedarf sprengt. Auf der Suche nach dem Aussichtspunkt, den die Karte des Hamburger Naturschutzamtes empfiehlt, halten wir uns an der nächsten Wegkreuzung links und gelangen bald an eine erhöhte Fläche mit Rundumblick. Nach Südosten hin schaut man in den schleswig-holsteinischen Teil des Schutzgebiets Höltigbaum. Hier brüten Feldlerchen, von denen sich aber in diesem Moment keine sehen lässt. Enttäuscht gehen wir vom »Feldherrnhügel« zurück zur Straße und weiter in Richtung unseres Ausgangspunktes. Wir begegnen nicht nur Inline-Skatern und Radfahrern, sondern hören plötzlich doch noch das Lied einer Feldlerche. Hoch oben in der Luft scheint sie immer weiter aufsteigen und mit ihrem Tirilieren nie aufhören zu wollen. Diese Lerche hat sich offenbar auf dem Gelände des Beweidungs-Projektes einen Nistplatz gesucht. Wir sehen auch, wie sie zuerst langsam gleitend, zum Schluss verstummend und wie ein Stein fallend, zum Boden zurückkehrt. Dort ist vermutlich ihr Nest im Gras versteckt. Die Lerche hat uns einen schönen Ausklang beschert, bevor uns das neu entstehende Gewerbegebiet vor Augen kommt. Wir haben aber die Rechnung ohne die Feldsperlinge gemacht. Aus einem ausgedehnten Weißdorngebüsch heraus stürzen sie sich scharenweise zum Fressen auf die von verschiedensten Kräutern überwucherte Brache.
Bildnachweis: WILDLIFE Bildagentur GmbH, Hamburg |
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