Thomas Schmidt

Tips zum Kennenlernen von Vogelstimmen

Seit vielen Jahren führt der NABU mit großem Erfolg vogelkundliche Kurzwanderungen unter dem Motto »Was singt denn da?« durch. Gerade die Vögel ermöglichen dem Großstadtmenschen einen der leider immer seltener werdenden Kontakte zur Natur. Sind die gefiederten Sänger doch unüberhörbar und relativ leicht zu sehen. Besonders das Hören der Vogelstimmen bereitet vielen Menschen ein ästhetisches Vergnügen. Man nennt daher die Vogelkunde auch eine »scientia amabilis«, also eine liebliche Wissenschaft.

Der Leiter einer Vogelstimmen-Exkursion könnte den Teilnehmern seinen Höreindruck in einem Park etwa mit folgenden Worten vermitteln: »Hier läutet eine Kohlmeise, rechts daneben tixt eine Amsel, und im Hintergrund vernehmen wir den Regenruf eines Buchfinken sowie das Schluchzen der Nachtigall.« Da mag sich mancher zweifelnd fragen: »Kann ich das auch lernen?« Nun, vor den Erfolg haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt. Es geht also nicht von heute auf morgen. Wer einige der folgenden Regeln beherzigt, kommt allerdings leichter zum Ziel:

1. Kleine Lernschritte
Für den Anfänger ist es sinnvoll, im frühen Frühjahr zu beginnen, denn dann sind nur wenige Arten zu hören. Da die Bäume zu dieser Zeit noch nicht belaubt sind, ist auch eine Bestimmung nach sichtbaren Merkmalen leicht möglich. Der Lernerfolg stellt sich umso rascher ein, je mehr »Lernkanäle« genutzt werden. In diesem Fall kommt zum akustischen Kanal der optische hinzu. Man suche einen kleinen, übersichtlichen Lebensraum, wie z.B. Garten oder Park, und höre den wenigen dort singenden Vogelarten, wie z.B. Kohlmeise und Blaumeise, wiederholt und intensiv zu. Sollte jemand erst später im Jahr auf die Idee kommen, mit Vogelstimmen vertraut werden zu wollen, so ist während der Brutperiode die Mittagszeit günstig, weil dann relativ wenige Vögel singen. Das Ende der Fortpflanzungszeit ist ebenfalls geeignet, denn dann haben viele Vogelarten ihren Gesang bereits wieder eingestellt. Aber selbst an manchen Wintertagen kann man sich am Gesang des Rotkehlchens oder den Rufen des Zaunkönigs erfreuen.

2. Wiederholung
Die Wiederholung als wichtiges Lernprinzip ist gerade beim Einprägen von Vogelstimmen zu empfehlen. Häufiges und intensives Zuhören ermöglicht es mit der Zeit, sich auch einen akustisch kompliziert aufgebauten Gesang, wie z.B. eine Buchfinkenstrophe, so einzuprägen, daß man künftig auch Strophen anderer Buchfinken erkennen kann. Obwohl jedes Buchfinkenmännchen zwei bis sechs Strophentypen beherrscht und verschiedene Buchfinken-Individuen unterschiedlich singen, sind sie dennoch alle an ihren arttypischen Gesangsmerkmalen wie Klangfarbe, Gesangstempo usw. als Angehörige der Art Buchfink zu erkennen.

3. Sprachliche Lernhilfen
Es ist für viele sehr hilfreich, wenn sie den akustischen Eindruck des Gesangs lautmalerisch umschreiben. Einige Vogelnamen enthalten bereits derartige Umschreibungen: Kuckuck, Zilpzalp, Fink. In anderen Fällen gibt es traditionelle »Eselsbrücken« in Form von Merksprüchen. Unterschiedliche Buchfinkenschläge können etwa folgendermaßen umschrieben werden: Sag, sag, sag, hast du meine Frau nicht gesehen? Oder: Ich, ich, ich, ich schreibe an die Regierung. Oder: Bin, bin, bin ich nicht ein schöner Bräutigam? Die Gesänge der Buchfinken unterscheiden sich häufig in ihrem letzten Element, dem Endschnörkel. Auch hierfür haben Buchfinken-Liebhaber eigenartige sprachliche Umschreibungen gefunden: Schätzchen-Weidau oder Putzebart. Sind keine Merksprüche bekannt, kann es sinnvoll sein, entweder im Gespräch oder schriftlich für sich selbst gesangliche Eigenschaften wie Strophendauer, Tonhöhenverlauf usw. in Worten festzuhalten.

4. Akustische Hilfsmittel
Ein reichhaltiges Angebot an Cassetten und CDs mit Vogelstimmen-Aufnahmen ermöglicht es, die draußen gewonnenen Eindrücke zu Hause weiter zu vertiefen. Allein durch Abhören von Tonträgern ist allerdings das Erlernen der Vogelstimmen nur schwer zu bewerkstelligen. So laut, deutlich und vollständig sind nämlich die Vögel in der freien Natur selten zu hören. Draußen singen viele Vögel durcheinander, oft sind die Gesänge weiter entfernt, oder der Vogel bricht seinen Gesang vorzeitig ab. Außerdem wird draußen bewußt oder unbewußt die Umweltsituation, in der der Vogel singt, beim Lernen der Stimmen mitverarbeitet. Das steigert den Lernerfolg. Wer ein batteriebetriebenes Abspielgerät besitzt, kann die »Klangkonserven« mit den Gesängen freilebender Vögel vergleichen.

Das Hören von Vogelstimmen ist nicht nur ein ästhetisches Vergnügen, sondern die Kenntnis der Laute und Gesänge erlaubt uns auch einen tieferen Einblick in die Biologie der Vögel. Nach der Anzahl singender Männchen kann z.B. die Siedlungsdichte einer Population bestimmt werden. Durch vorgespielte Gesangs-Attrappen wird ermittelt, woran ein Vogel seinen Partner akustisch erkennt.

Wer regelmäßig Jahr für Jahr die vogelkundlichen Wanderungen des NABU mitmacht, wird vielleicht eines Tages seinen Vogelstimmen-Experten freundlich darauf hinweisen können, daß er bei der Aufzählung der Vogelstimmen im Stadtpark zwar das Läuten der Kohlmeise erwähnt hat, aber leider das ganz leise Klingeln der Blaumeise im Hintergrund vergaß.

    Literatur in Auswahl:

    Hans-Heiner Bergmann und Hans-Wolfgang Helb: Stimmen der Vögel Europas. – München, Wien, Zürich: BLV Verlagsgesellschaft (1982).

    Gerhard Thielcke: Vogelstimmen. – Berlin, Heidelberg, New York: Springer-Verlag 1970.

    Alwin Voigt: Exkursionsbuch zum Studium der Vogelstimmen. 12. Aufl. – Heidelberg: Quelle & Meyer 1961.

    Tonträger in Auswahl:

    Hans-Heiner Bergmann und Gerhard Thielcke: Biologie der Vogelstimmen. – Stuttgart: Ernst Klett Schulbuchverlag 1989. Cassette mit Beiheft.

    Jean C. Roché: Die Vogelstimmen Europas. – Stuttgart: Franckh'sche Verlagshandlung, W. Keller & Co. 1986. 3 Cassetten mit Kosmos-Kompaktführer »Vögel«.

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